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Ich bin ja auf der Verkaufsfläche zwar der grosse Geschichtenerzähler. Aber manchmal lassen mich auch die Kunden an ihren verrückten Erlebnissen teilhaben, und ich kann nicht anders, als diese köstlichen Geschichten in meine Bühnenshows einzubauen. Zum Beispiel dieser grau melierte Kerl im schicken Anzug, der mir nur eine Minute vor Feierabend seine Geschichte berichtet hat. Wir sprachen über dieses eigentlich recht traurige Geheimnis: In jedem Keller, ja wirklich, bei jedem auch nur gelegentlichen Weintrinker, lauern eine oder mehrere dieser mysteriösen „Special Bottles“. Diese Schätze werden behütet, geliebt, und sie warten geduldig auf ihren großen Moment. Doch die Tragik dieser Tatsache ist, dass dieser „große Moment“ nie kommt! Es zerreißt einem fast das Herz, als Weinliebhaber zu wissen, dass diese edlen Tropfen vor sich hinschlummern, bis es zu spät ist, und sie die Chance verpassen, ihnen einen epischen Abend zu schenken. Denn nur schon das öffnen dieser einen „Special Bottle“ ist der eigentliche Event. Diese Flasche will ihnen keinen grossen Anlass krönen – nein Sie ist der Anlass! Sie ist der Hauptdarsteller, der Star der Show! Und jeder Schluck aus dieser Flasche ist schon für sich alleine ein großes Spektakel. Aber nun zur Geschichte: Es war an einem dieser verregneten, nebligen Sonntage, an denen man die Außenwelt meidet wie die Pest. Der Typ und seine Frau, beide in Trainingsanzügen und ungekämmt, verspürten plötzlich diese Lust auf ein Glas Wein. Da war kein Halten mehr. Ihr Opfer? Irgendeine Flasche aus dem Büro seiner Frau. Sie holten die Gläser, öffneten die Flasche und stiessen an. Doch schon beim ersten Schluck: Donnerwetter und Wolkenbruch! „Was zum Teufel ist das?“ Schon zogen sie die Smartphones raus und begannen, das Etikett durch das endlose Internet zu jagen. Und dann erschien es auf dem Bildschirm: Dreistellig! Die Bewertung, dreistellig. Und der Preis, auch dreistellig. In diesem Moment schauten sie sich an, standen auf und haben sich sofort umgezogen. War das öffnen dieser Flasche an einem verregneten Sonntag ein Fehler? Nein, im Gegenteil! Es war das Beste, was diesem Herrn, seiner Frau und nicht zuletzt auch dieser Flasche passieren konnte. Man muss die Feste feiern, wann sie fallen. Und wenn sie nicht fallen, dann lässt man sich eben was einfallen. Zum Beispiel das Öffnen einer dieser „Special Bottles“. Auch mitten in der Woche! Wie wäre es mit einem „Dom Perignon Dienstag“, einem „Mouton Montag“ oder einem „Sassicaia Samstag“? Diese Weine und Tage werden für immer in der Erinnerung bleiben. Und Sie werden Geschichten haben, die Sie ihren Freunden und Nachbarn erzählen können. Oder sogar dem Sommelier in der Weinabteilung.